Projekt Zukunft unter dem Dach der Senatsverwaltung für Wirtschaft ist das größte Kommunikations- und Fördernetzwerk in der Hauptstadt und arbeitet in enger Kooperation mit vielen Institutionen aus Politik und Verwaltung in Berlin und Brandenburg. Unter der Überschrift "Kopf des Monats" stellt die Senatsverwaltung auf ihrer Website Persönlichkeiten aus dem Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien vor.
Interview mit der Berliner Senatsverwaltung
Der diesjährig erstmalig vergebene hamburg@work Games Award der Freien und Hansestadt Hamburg geht an die Berliner Spieleentwickler Jan Bölsche (32) und Patrick Rau (29). Damit unterstützt der Hamburger Senat die Realisierung eines neuartigen Lernspielkonzeptes mit 10.000 Euro. Außerdem erhalten die Entwickler Dienstleistungen im Wert von 30.000 Ausgezeichnet wurde die Konzeption für ein Computerspiel. "Bahn frei!" bringt Kindern Verkehrsregeln bei und simuliert dabei eine mittelgroße Stadt.
Patrick Rau (Design, Konzeption) und Jan Bölsche (Softwareentwicklung, Konzeption) leben beide in Berlin und bearbeiten regelmäßig verschiedene Medienprojekte auf freiberuflicher Basis.
Der Kommunikations-Designer (FH), MA Patrick Rau arbeitet unter dem Label "kunst-stoff
" an Medienprojekten im kommerziellen und künstlerischen Bereich. Er doziert an verschiedenen Fachhochschulen über Medieninstallationen und Computerspiele. Im Auftrag der Berliner Agentur Triad entwickelte er unter anderem eine interaktive Quiz-Spiel-Installation für das Foyer des Bayerischen Rundfunks.
Jan Bölsche entwickelt unter dem Label "Muskelfisch Entertainment" Multimedia-Software für Agenturen wie art+com, Scholz & Friends oder Triad. Die Software aus der Kreuzberger Remise "Haus der Frohen Zukunft" läuft im Besucherzentrum, der "Gläsernen Manufaktur" des VW-Konzerns in Dresden und steckt hinter einer Fassadeninstallation am Baseler Hyperwerk. Sie half bei der Inszenierung des VW Phaeton in der Neuen Nationalgalerie und interagiert mittels eines 33 qm großen LED-Displays mit den Besuchern der wiederaufgebauten Alten Kommandantur, Unter den Linden 1, der neuen Hauptstadtrepräsentanz der Bertelsmann AG. Patrick Rau entwickelte Konzepte und produzierte Bespielungen für die Medieninstallationen "Sky Chapel" und "Plug and Play" der Alten Kommandantur.
Zunächst herzlichen Glückwunsch zum Games-Award! Wie aufwändig gestaltet sich der Entwicklungsprozess des Lernspiels von der Konzeption bis zur Realisierung?
Rau: Vielen Dank! Nach unserer derzeitigen Abschätzung werden je nach Produktionsphase 4-8 Personen ca. 12-18 Monate mit der Produktion von "Bahn Frei!" beschäftigt sein. Momentan liegen das Grobkonzept und der vom Hamburger Senat preisgekrönte Businessplan vor. Ausserdem haben wir mit dem Design der beiden Hauptcharaktere "Pisa" und "Kinsey" begonnen.
Bölsche: Verglichen mit anderen Lernspielen für die Altersgruppe von 7-11 Jahre ist der Produktionsaufwand für unser Spiel relativ hoch. In diesem Marktsegment bilden noch immer Produkte mit eher niedriger Qualität die Mehrheit. Verkauft werden diese Titel mit Hilfe bekannter Titelfiguren. Spielspass und pädagogischer Ansatz bleiben oft hinter den Erwartungen der Käufer zurück. Ein stetig wachsendes Qualitätsbewusstsein gerade bei Eltern, die Lernsoftware für ihre Kinder kaufen, zeichnet sich jedoch ab. In diesen wachsenden Markt der hochwertigen Lernspiele für Grundschüler platzieren wir "Bahn Frei!".
Rau: "Bahn Frei!" ist ein echtes Computerspiel, dass auch den Eltern Spass machen wird. Denn auch wenn die Lerninhalte vermittelt sind, geht der Spielspass weiter. Damit unterscheiden wir uns von vielen Mitbewerbern.
Wie geht es weiter? Gibt es ein Vertriebskonzept für "Bahn frei!" ?
Bölsche: Verschiedene Verlage interessieren sich für die Vermarktung unseres Spiels. Gemeinsam mit dem renommierten Schulbuchverlag Cornelsen wollen wir eine Version für den Schulunterricht entwickeln. Für den außerschulischen Bereich wird es eine klassische Retail-Version geben, und eine weitere Variante könnte von einem Partner aus der Industrie als Marketinginstrument verwendet werden.
Denkbar ist auch ein Kombiprodukt aus Buch und CD-ROM, das - über den Buchhandel vertrieben - eine qualitätsbewusste Käuferschicht besser erreicht.
Rau: Auch über eine Brettspielvariante sprechen wir bereits mit einem der führenden Anbieter in diesem Bereich.
Bölsche: Die Produktzyklen auf dem Markt der interaktiven Unterhaltung sind sehr kurz. Um dem entegegenzuwirken verfolgen wir eine langfristige Strategie auf Basis unserer Titelhelden Pisa und Kinsey.
Rau: Die beiden werden über Jahre die Zielgruppe begleiten und in Folgetiteln weitere Abenteuer, zu anderen gesellschaftsrelevanten Themen erleben. Auch das Brettspiel sorgt für eine nachhaltige Präsenz der Figuren, denn Brettspiele bleiben über Jahrzehnte am Markt.
Mit 15 Unternehmen gilt Berlin-Brandenburg als Hochburg der unabhängigen deutschen Spieleentwickler. Ist es Zufall, dass der Games-Award an Berliner Unternehmen ging?
Rau: Berlin ist attraktiv für Menschen, denen ein kreatives Arbeitsumfeld besonders wichtig ist. Der Boom am Neuen Markt hat viele motivierte und ideenreiche Gestalter und Softwareentwickler in die Stadt gespült.
Bölsche: Inzwischen wächst eine zweite Generation heran, die das Game-Level-Design im Studium gelernt hat. Damit bietet Berlin ein gutes personelles Umfeld für die Spieleentwicklung. Dass der hamburg@work Games Award nach Berlin ging, spricht natürlich für die Unabhängigkeit der Jury.
Rau: Und ihre Geschmackssicherheit!
Computerspiele haben sich in den letzten zehn Jahren einen festen Platz unter den deutschen Unterhaltungsmedien erkämpft. Doch von der riesigen Zahl an Neuerscheinungen kommen nur wenige aus heimischen Entwicklerstudios. Was sind dafür die Gründe?
Bölsche: In der Branche hat in den letzten 10 Jahren eine starke Konsolidierung eingesetzt. Ähnlich wie in der Filmbranche bedienen hauptsächlich amerikanische Studios den Massenmarkt. Die Produktionen der großen Studios haben bereits wesentlich größere Budgets als übliche Kinofilme. Der deutsche Geschmack unterscheidet sich jedoch signifikant vom amerikanischen. Deutsche Produktionen wie die Siedler-Serie oder die Anno-Spiele werden von Amerikanern abfällig als "German Games" bezeichnet, führen hierzulande jedoch über Monate hinweg die Verkaufscharts an.
Dafür liegt hier das 75. Baseball-Spiel oder der Sushimaster-Simulator, in Japan ein Schlager, gar nicht erst in den Verkaufsregalen. Dass in Deutschland aber auch internationale Hits produziert werden, beweist unter anderem "Far Cry".
Rau: Hauptstandortvorteil der USA stellt die dortige höhere Risikobereitschaft der geldgebenden Banken dar. Ein Umstand, der - ähnlich wie bei der Filmindustrie - hierzulande meiner Meinung nach nur durch staatliche Förderprogramme ausgeglichen werden kann.
Bedauerlich ist in diesem Zusammenhang, dass das Medienboard Berlin-Brandenburg (ehemals Filmboard) trotz Umbenennung keine Gelder für interaktive Produktionen zur Verfügung stellt.
Aus diesem Grund entwickeln wir zur Zeit eine "Bahn Frei!" Version für das Marketing eines potentiellen Sponsors, zum Beispiel aus der Autoindustrie.
5. Noch immer muss sich die Branche gegen ein schlechtes Image behaupten, Stichwort "Gewaltverherrlichung". Dabei hat die Branche große Zuwachsraten zu verzeichnen. Auf etwa 1,1 Milliarden Euro belief sich nach Angaben des Verbandes der Unterhaltungssoftware Deutschland (VUD) das Marktvolumen in 2003. Welche Tendenzen und Perspektiven zeichnen sich in der Branche ab. Spielt Berlin als Impulsgeber hierbei eine Rolle?
Bölsche: Im Gegensatz zu vielen Kollegen kann ich den Vorwurf der Gewaltverherrlichung teilweise nachvollziehen. Wir glauben, dass Computerspiele ein ideales Lehrmittel sind. Jedes Spiel, ob beabsichtigt oder nicht, vermittelt dem Spieler Fähigkeiten und Wissen. Die Palette des Wissens reicht von der Kenntnis des genauen Strassennetzes von San Francisco und Miami Beach (Driver) bis hin zu der Erkenntnis, wie es sich anfühlt, wenn der Gegner trotz anderslautender Vereinbarungen mit der Forschung an Nuklearwaffen beginnt und dies mit der schalen Ausrede "Was soll ich machen? Alles andere ist halt schon erforscht" begründet. (Rise of Nations)
Die wenig für ihre sozialpädagogische Medienkritik bekannte US-Army jedenfalls ist überzeugt davon, dass in Ego-Shootern trainierte Fahigkeiten in realen Konfliktsituationen Verwendung finden. Sonst würde für die Ausbildung der Marines nicht unter anderem eine modifzizierte Version von Doom II eingesetzt werden.
Rau: Was wir brauchen, sind mehr Innovationen, mehr revolutionäre Spielinhalte jenseits von Trollen, Rennwagen und Maschinengewehren. Von den marktforschungsgesteuerten Großstudios ist in dieser Richtung vermutlich nichts zu erwarten. Hier liegen die Chancen der kleinen unabhängigen Studios. Gerade auch in Deutschland. Und hier natürlich speziell in Berlin.